Alfa Romeo und die Targa Florio
Ignazio Florio (Heimatstadt Palermo), Besitzer von Schiff-Fahrtslinien und
Hotels und durch den Export von Wein und Früchten weit über die Grenzen
Siziliens bekannt, konnte Zeit seines Lebens nicht ahnen, daß sein Geld einmal
ein herausforderndes, faszinierendes Autorennen möglich machen würde, denn als
er 1891 starb lernten gerade die ersten Motorbetriebenen Kutschen fernab der
sizilianischen Straßen das Laufen. Sein ältester Sohn Ignazio übernahm im Alter
von dreiundzwanzig Jahren das Erbe des Vaters und führte die Geschäfte
erfolgreich weiter.
Der jüngere Bruder Vincenzo (geb. 1883) führte zu dieser Zeit noch ein sorgloses
Leben,
und selbst später, zunehmenden Alters, interessierte er sich mehr für
Geschäftsreisen aufs Festland, als für die Führung der Firma auf Sizilien und
begann sich immer mehr für die rapide fortschreitende Technik zu interessieren.
Als ihn später eine innige Begeisterung für Versuche mit Heißluftballons packte,
schenkte ihm sein älterer Bruder, um ihn von den gefährlichen Experimenten
abzulenken, ein De Dion-Bouton Motordreirad. Es war das erste Selbstbetriebene
Fahrzeug auf Sizilien. Das erste Rennen, das er bestritt, war gegen einen
Radfahrer und einen Reiter. Das Pferd gewann und Vincenzo stieg bald auf
vierrädrige Motorwagen um. Ingnazio kaufte ihm hierzu Vehikel von Benz und
Peugeot, dann folgte ein FIAT Tourer. Doch das alles war nicht gut genug, er
wollte einen richtigen Rennwagen besitzen.
FIAT fürchtete um das Leben des "Junior" und verweigerte den Verkauf. Tief
gekränkt ließ er sich geheim einen frisierten Panhard bauen, mit welchem er bei
der Hochgeschwindigkeitsprüfung Padua-Bovolenta das FIAT-Team prompt besiegte.
1906 errang der Jüngling, mittlerweile auf Mercedes unterwegs, einen dritten
Platz beim mörderischen Rennen Paris-Madrid, und veranstaltete erstmals ein
eigenes Rennen, genannt Coppa Florio, mit den Etappen Brescia - Cremona -
Mantua. Mit dieser Idee hatte er noch im gleichen
Jahr
die Targa Florio erschaffen.
Den zündenden Funken hierzu hatte er durch ein zufälliges Gespräch mit einem
Sportjournalisten in Paris, wo er auch gleich die in massivem Gold gehaltene
Siegesplakette anfertigen ließ. Später wurde ihm klar, dass in Sizilien keine
passende Strecke zur Verfügung stand. Mehr als 1000 Kilometer rund um die Insel
schien ihm zu lang, ins steil empor führende Hochland zu schwierig und ein Kurs
in Palermo zu kurz. Landeskundige wurden ausgesandt, um eine optimale
Rundstrecke mit Start und Ziel an der Küste nahe der Hauptstadt zu finden.
Man entschied sich für eine bergabhängige Streckenführung. Madonie heißt die
Gebirgskette, wo Berge wie der Monte San Salvatore und der Pizzo Corbonaro in
eine Höhe von 2000 Meter ragen. Der Start führte die tollkühnen Helden in eine
Höhe von mehr als 600 Metern. Steinschlag, Vermurrungen, Nebel und sogar Eis und
Schnee haben den Fahrer beim Erklimmen der Zweitausender noch im Mai erwartet.
Die kaum mehr als eine Wagenbreite Platz bietende Strecke stellte unglaubliche
Anforderungen an Pilot und Material und zudem lauerten sogar Banditen auf diesem
Kurs mit seinen abenteuerlichen Steigungen und Schwindelerregenden Gefällen.
Selbst nach der heroischen Epoche, als man noch keine Sicherheitsvorschriften
kannte, diskutierte man während des Rennens über die Zumutbarkeit der Targa
Florio. Nie war ein übliches Training möglich, nie waren die
Sicherheitsvorkehrungen verlässlich. Alles blieb im Rennen offen, die
Straßenüberquerung von Packeseln und Schafherden eingeschlossen. Die
Einheimischen waren über das Geschehen geteilter Meinung, und wer auf eigene
Faust trainierte, musste mit Steinwürfen rechnen. Nur am Renntag herrschte
allörtlicher Jubel.
Nicht immer wurde die Targa durch die Berge geführt. Unvergesslich blieben auch
die Umrundungen des Eilands in den Jahren 1912 bis 1914 und 1948 bis 1950. Unter
dem Druck der deutschen Überlegenheit auf Grand-Prix Pisten wurde 1937 bis 1940
der Stadtlauf auf dem Circuito Citta di Palermo ausgetragen, welchen viermal
Maserati für sich entscheiden konnte.
Die ersten Bergrundstrecken verfügten über eine Länge von 148,6 km. Ab 1919 lief
die Tour über einen gekürzten Kurs pro Runde genau 107,9 km. 1932 wurde sie
wieder neu vermessen und auf 72 km eingeschränkt. Doch kam es auf die Zahl der
Runden an. Der letzte Kurs (72 km) musste elf mal umrundet werden, was einer
Gesamtdistanz von 790 Kilometern gleichkommt.
Als härteste aller denkbaren Prüfungen für Tourenwagen wurde die erste Targa
Florio ausgeschrieben. Zehn Exemplare mussten zur Homologation nachgewiesen
werden. Da seinerzeit echte Rennwagen nicht viel Veränderungen im Vergleich mit
den Serien-Tourenwagen hatten, durften auch die ältesten Targas als ziemlich
ausgeglichene Wettfahrten gelten. 22 Bewerber wollten zum Auftakt am 5. Mai 1906
an den Start gehen, doch durch einen Streik der Hafenarbeiter reduzierte sich
die Zahl auf 10 Starter. Fiat gab sich siegesgewiss mit zwei Trümpfen: mit dem
neuen 7,4 Liter HP 28/40 und Werksfahrer Vincenzo Lancia, der noch im gleichen
Jahr seine eigene Firma gründete. Doch kam Fiat erst im darauf folgenden Jahr zu
einem Doppelsieg. Filice Nazarro und Vincenzo Lancia wurden für ihren Ausfall in
der vorangegangenen Saison nun als Zweifachgewinner entschädigt. Mit einer
Durchschnittsgeschwindigkeit von 46,8 km/h und einer Gesamtfahrzeit von
neuneinhalb Stunden durfte sich Alessandro Cagno als erster in die Liste der
Glorreichen eintragen. Vincenzo Florio konnte stolz auf sich sein, denn ganz
Europa sprach von ihm und beim zweiten Auftritt waren bereits 50 Wagen
gestartet, obwohl eine Verordnung die Leistungsausbeute der Motoren regulierte:
4 Zylinder, nicht unter 1000 kg Eigengewicht, Bohrung 120 bis 130 Millimeter,
dazu
20
kg je Millimeter Zylinderbohrung.
Chancengleichheit war das Ziel, und all die folgenden Jahrzehnte hatte die Targa
Florio bei verschiedenen Wandlungen speziell in diesem Punkt nie große
Unterschiede begünstigt. Man schreibt das Jahr 1911. Das gute Gelingen des
Rennens geht in Regenströmen unter. Erstmals am Start war A.L.F.A., Uranfang des
mächtigen Kapitels Alfa Romeo bei der Targa. Beide Piloten der
fahrwerksbegünstigten Neukonstruktion mussten vor Ende der drei Runden trotz
intakter Fahrzeuge das Handtuch werfen. Psychisch und physisch erschöpft, zum
sinnlosen drauf losfahren gezwungen, in einer brutalen Schlammschlacht
untergegangen.
1912 kam es zur Entscheidung, Sizilien zu umrunden, da das Geld nicht reichte um
die Reparaturen der durch Wettereinflüsse stark beschädigten Straßen und Brücken
durchzuführen. Vincenzo Florio gab sich selbst die Ehre in einer
Sonderanfertigung nach dem Muster des Ford-T Modells (Dieses Gerät war den
Anforderungen der neuen längeren Streckenführung allerdings nicht gewachsen).
Die Targa um Sizilien erwies sich als reine Materialschlacht auf den miesen
löchrigen Sandwegen, mehr noch als absolute Überforderung der Fahrer. 24 Stunden
und 37 Minuten war der Brite Cyril Snipe nonstop unterwegs, genau 1049 km.
Einmal konnte ihn sein mitfahrender Mechaniker nur mit einem Wasserguss aus
tiefer Bewusstlosigkeit wecken.
1913 und 1914 wurde die Tour in zwei Etappen eingeteilt. Doch die Veranstaltung
hatte sich mehr zu einer Rallye entwickelt, ein Marathonlauf, der die Zuseher
bei einmaligem Betrachten der Vorbeiziehenden auch nicht begeistern konnte. Der
Krieg kam dazwischen, und danach war alles wieder anders. Es ging wieder ins
Gebirge. Vier Runden mit 432 km Gesamtlänge, keine technischen Vorschriften.
"Die Targa Florio ist selbst eine eigene Formel, von den Verhältnissen
diktiert", mit diesem Argument wurde ein neues Zeitalter eingeleitet und dabei
blieb es.
Am 23. November 1919 ging das erste Nachkriegsrennen los. Nur 2500 ccm besaß der
Peugeot, der 1919 als Siegerwagen durchs Ziel ging. 1922 förderte eine
Grand-Prix Regel leichte, in schlanker Bauart gefertigte Karosserien mit 2
Litern, ab 1926 schrumpfte das Limit auf 1,5 Liter Hubraum. Die entsprechende
Kraft wurde durch Koppelung eines Kompressors an den Motor erreicht. So verging
die Zeit der großvolumigen Triebwerke und 1922 konnte ein Grand Prix Mercedes
von 1914 mit Müh' und Not den 10. Platz belegen. 1920 klassierte sich der junge
Enzo Ferrari mit einem 1,5 Liter Alfa auf dem zweiten Rang.
1923 landete Alfa Romeo den lang ersehnten Doppelsieg. Dann kam die große Ära
der Bugattis. Nach dem bisher Erlebten hätte man schon Seiten von mehreren
Büchern gefüllt. Etliche Geschichten ranken sich um Mensch und Maschine. Zum
Beispiel wie Elisabeth Junek 1928 mit ihrem Bugatti auf den hervorragenden 5.
Platz kam und somit den Männern in diesem Muskelbeanspruchenden Sport Paroli
bot. Zuvor ging sie die ganze Strecke zu Fuß ab, täglich 20 km.
1930 konnten die Mailänder endlich wieder einen Sieg verbuchen. Auch 1931 und
1932 war Alfa Romeo vorne. 1933 und 1934 folgten Dreifachsiege. 1935 durften die
roten Renner aus Mailand nochmals triumphieren. 7 St. 15 Min. benötigte Tazio
Nuvolari damals für 575 km. 1940 fand der letzte Lauf, im Zeichen des Krieges,
statt.
Nach
dem 2. Weltkrieg wurde erstmals wieder 1948 gestartet. Die Marke des ehemaligen
Alfa Piloten und Rennstalleiters Ferrari duellierte sich mit Alfa Romeo und
Cisitalia. Die Durchschnittsgeschwindigkeit war nahe an die 90 km/h gerückt. 300
PS und 270 km/h Spitze war Mitte der Fünfziger nun Realität. Bei einem Ausritt
mit 160 km/h verknitterte Stirling Moss zwar die Schnauze seines Mercedes, doch
gewann er souverän in einem Tempo, welches fast an Formel 1 -Niveau herankam.
Dann unterbrach der katastrophale Unfall in Le Mans die Erfolgsserie der
Untertürkheimer. Sie starteten bei keinem internationalen Wettstreit mehr.
Vincenzo Florio starb 1958 im Alter von 75 Jahren, die Targa überlebte ihn.
Porsche gewann 1959 und 1960. Ein klassischer Zweikampf entfachte. 1962 Ferrari,
1963, 1964 Porsche, 1965 Ferrari, 1966, 1967 Porsche. Die deutschen Sportautos
waren von nun an überlegen und kein anderes Team hatte ernsthafte Chancen. 1971
endlich ein Triumph für Alfa Romeo. Helmut Marko erreichte mit einem Alfa die
höchste je erzielte Durchschnittsgeschwindigkeit einer Targa mit 128 km/h, das
war 1972.
Insgesamt 57 Targa Florios wurden zwischen 1906 und 1973 ausgetragen. Die Targa
wurde eingestellt, weil sich im Falle eines Unglücks keiner verantwortlich
zeigen wollte. Das Risiko einer möglichen Katastrophe war durch die ständig
steigenden Motorleistungen der Autos zu groß geworden. Die Straßen wurden im
Lauf der Zeit zwar besser, aber 350 km/h auf der Küstengeraden sprengten die
Toleranz des Publikums. Es war nicht möglich, einen reibungslosen Ablauf des
Renngeschehens zu garantieren, auch der normale Straßenverkehr hatte zu stark
zugenommen. Mehrfach wurde der Kurs gewechselt, aber nie, auch über all die
Jahre, das Prinzip: Kampf um Zeit ohne Abschätzung erkennbarer Situationen.
Die letzten Targa Florio-Sieger hießen Müller/von Lennep 1973 auf einem Porsche
Carrera. Den feierlichen Schlusspunkt setzte allerdings Alfa Romeo. Rolf
Stommelen fuhr die letzte und gleichzeitig schnellste Runde auf einem T33.
Alfa Romeo durfte sich zehn mal als Champion der Targa Florio bezeichnen!
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